Eine Grüne von Schottland nach Aschau

Mit dem Zug von Schottland nach Aschau

„Wo hat ihre Zugreise angefangen?“, fragt mich eine Frau von der DB, die eine Umfrage in der Südostbayernbahn von Prien nach Aschau macht. „Schottland.“, antworte ich. „Schottland? Aber doch wohl nicht mit dem Zug?“ Ich lächele, „Doch, mit dem Zug durch den Eurotunnel von London nach Paris.“ Sie guckt mich erstaunt an „Na dann sind sie ja schon eine Weile unterwegs. Von wo genau hat ihre Reise begonnen?“ „Leuchars“, antworte ich. Um genau zu sein, begann meine Reise in St. Andrews. Ich studiere nämlich an der Universität von St. Andrews Nachhaltigkeit und Internationale Beziehungen. Am 17. Oktober habe ich mich auf die 1.950 km lange Reise von St Andrews nach Aschau begeben. Insgesamt hat die Zugreise über 20 Stunden gedauert. Warum mache ich das?

Als Öko-Aktivistin bin ich bemüht, nicht nur für umweltpolitische Veränderung zu protestieren und plädieren, sondern auch meine Werte und Worte zu leben und durch meinen Lebensstil Veränderung zu bewirken und andere Menschen zum Nachahmen zu inspirieren. Seit fast drei Jahren ernähre ich mich vegan, reduziere meinen Plastikmüllverbrauch und nutze, wenn immer möglich, lieber das Fahrrad und den Zug statt des Autos oder des Flugzeuges. Momentan versuche ich, Kommilitonen und meine Universität zum Umdenken zu bewegen, und neue Mobilitätswege bezüglich Reisen und Fliegen einzuschlagen. Noch immer meinen viele, dass ein nachhaltiges Leben nur mit Verzicht und großen Einschränken verbunden ist, aber ist das wirklich so? Für mich persönlich macht Fliegen und Reisen den größten Teil meines ökologischen Fußabdruckes aus. Im September stellte ich mir die Frage, ob es auch möglich ist, in meinen einwöchigen Semesterferien die 1.950 km lange Strecke von St. Andrews nach Aschau mit der Bahn zu fahren. Dieses Experiment wagte ich nun im Oktober. Nach intensiver Internetrecherche buchte ich einen Interrail Global Pass, mit dem ich drei Tage innerhalb eines Monates in Europa reisen kann – und das zu einem vergleichsweisen guten Preis von 168 Euro.

Am frühen Morgen des 17.Oktober klingelte mein Wecker um 4.40 Uhr und um 5.20 Uhr stand ich an der Busstation in St Andrews. Von Leuchars Bahnhof ging die Fahrt über Edinburgh nach London. In London stieg ich zum ersten Mal in den Eurostar nach Paris und freute mich darauf, durch den Eurotunnel zu reisen. Über Felder und an Windrädern vorbei ging die Reise und die Sonne schien auf mich durch das Fenster. Innerhalb weniger Minuten war ich wohl eingeschlafen, denn als ich aufwachte, war ich fast in Paris, die Zugreise von London nach Paris dauert nur 2 Stunden. Leider habe ich die 20- minütige Kanalreise tief unterm Meer verschlafen. Immerhin habe ich auf der Rückreise noch eine Möglichkeit, die Kanalpassage mitzubekommen. In Paris angekommen, lief ich in der Nachmittagssonne zum Gare de l’Est und wartete auf meinen Zug nach Stuttgart. Vom Stuttgart ging es vom Gleis gegenüber direkt zum Zug nach München und um 23.30 Uhr kam ich am Münchner Hauptbahnhof an. Genug für einen Tag. Am 18. Oktober ging es weiter über Prien zum Heimatort Aschau im Chiemgau. Endlich angekommen. Wie ich mich fühle? Erfolgreich! Wer kann schon sagen, dass er von Schottland nach Oberbayern mit dem Zug gefahren ist? Oder sogar bis nach Wien?

 

 

 

 

 

 

 

Für den extra Tag auf meinem Interrail Pass habe ich mich entschieden, eine Freundin in Wien zu besuchen. Am 25.Oktober saß ich spät abends im Zug auf der Rückreise von Wien nach Aschau, als mir plötzlich die Tränen in die Augen schossen, so glücklich fühlte ich mich. Diesen Tag in Wien hätte ich nie gehabt, wenn ich mich nicht für eine Zugfahrt von Schottland nach Aschau entschieden hätte. Ja, insgesamt war es eine lange Reise und sie hat mehr Planung und Zeit gebraucht, anstelle eines Fluges, aber sie hat auch neue Erfahrungen, viele glückliche Momente und schöne Erinnerungen an ein außergewöhnliches Erlebnis beinhaltet. Muss ein nachhaltigeres Leben wirklich eine Einschränkung sein? Ist es nicht viel mehr eine Chance für neue Erlebnisse, neue Abenteuer und unvergessliche Erinnerungen?  Es fängt alles damit an, offen zu sein und neue Prioritäten zu setzen – offen für neue Lebensweisen, alternative Routen und neue Erlebnisse. Zugfahren ist vielleicht nicht für alle Reisen möglich, aber es gibt doch vielmehr Alternativen als man denkt. Wir brauchen nur den Mut, sie zu erkunden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Léa Weimann, 21-jährige Klimaaktivistin und Studentin

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